Zehentes Capitel.

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Bey dem D?rfchen Sembin, 15. Werste oberhalb Borisow, waren auf Befehl des Kaisers 2. Br?cken zum Uebergang ?ber die Beresina geschlagen worden, nachdem vorher diese Stelle dem Admiral Tchitsgakoff mit vielem Blute und gro?em Verlust abgek?mpft worden war. Die eine der Br?cken war f?r das Fuhrwerk, die andere f?r die Reiter und Fu?g?nger bestimmt. Schon am 27. Nov[em]b[e]r konnten beide Br?cken passirt werden, aber das Verh?ngni? wollte, da? nur wenige den leichten und gefahrlosen Uebergang ben?zten: Gleichwohl hatte sich am n?mlichen Tage die ganze Masse der Armee, durch den nachr?ckenden Feind gedr?ngt, dem Flusse gen?hert. Am 28. Morgens um 1. Uhr begann endlich der Uebergang, indem dichte Massen

von Menschen und Fuhrwerk gegen die Br?cken hinwogten. Die f?r das Fuhrwerk bestimmte Br?cke war bald gebrochen, und obgleich mehreremal wiederhergestellt, schon um die MittagsZeit g?nzlich unbrauchbar geworden. Niemand fand sich mehr, der sie // S. 72// aufs Neue reparirt h?tte, jeder dachte nur an seine eigene Rettung. Unabsehbare Massen von Menschen, Pferden und Wagen w?lzten sich der andern Br?cke zu. F?rchterlich war das Gedr?nge, unz?hlige Menschen und Pferde wurden erdr?ckt, zertreten. Die Br?cke war so schmal, da? nur 2.—3. Menschen nebeneinander sie begehen konnten. Schnell eilte, wer sie einmal erreicht hatte, vorw?rts, aber nicht schnell genug f?r die Nachkommenden. Am Eing?nge der Br?cke suchten Gendarmen und Officiere Ordnung zu halten, aber fruchtlos war ihre M?he gegen den immer st?rker werdenden Andrang. Manche, die auf der Br?cke weniger eilten, wurden von den Nachr?ckenden in das Wasser gest?rzt. Viele wateten in den Flu?, um von hier aus die Br?cke zu ersteigen, manche wurden durch Bajonetstiche und S?belhiebe wieder zur?ckgesto?en, und manche b??ten neue Versuche mit dem Leben. Gegen 1. Uhr Nachmittags verbreitete sich in der Menschenmasse der Ruf, die Kosacken kommen! Die lezten wurden ihre Beute, bis zur Br?cke vorzudringen, lag ausser dem Gebiete menschlicher M?glichkeit. Aber dieser Ruf wirkte electrisch auf die ganze Menge, jeder suchte sich vorzudr?ngen, Massen von Reitern schlo?en sich zusammen, und bahnten sich einen Weg ?ber die K?rper ihrer Kameraden. Am Eingang der Br?cke hatte alle Ordnung aufgeh?rt. Die Officiere und Gendarmen hatten sich vor der w?thenden Menge theils gefl?chtet, theils hatten sie in ihrem Auftr?ge das Leben verloren. // S. 73// Viele Reiter suchten das jenseitige Ufer durch Schwimmen zu gewinnen, wenigen gelang es, die meisten giengen zu Grunde. Noch gr??licher wurde der Kampf um den Uebergang, als die russischen Kanonen anfiengen, die Masse zu erreichen, und Tod und Verderben in derselben verbreiteten. Nun war es ein Kampf des Einzelnen gegen den Einzelnen, der Kr?ftigere trat den Schw?cheren nieder, und blieb Sieger, bis er selbst einem noch Kr?ftigeren unterlag. Diese furchtbare Scene endigte sich erst mit dem Einbruch der Nacht, als eine Abtheilung franz?sischer Pioniere auf dem jenseitigen Ufer einen Theil der Br?cke abgebrochen hatte, und die zur?ckgebliebenen Menschen, Pferde, Artillerie, W?gen aller Art den indessen herangekommenen Russen zur Beute ?berlie?en.

Dieser Tag und die Jammer-Scenen desselben werden immer in meinem Ged?chtnisse leben. Ich hatte einen harten Kampf zu bestehen. Fr?h Morgens um 3. Uhr brach ich mit meinen J?gern nach der Br?cke auf. Ungeheuer war schon die Menschenmenge vor uns, eine noch gr?sere kam nach, und dr?ngte uns vorw?rts. Bald hatte ich meine J?ger verloren, nur mein Bedienter und der Quartiermeister Veihelmann des Regiments waren noch an meiner Seite. Das Gedr?nge wurde so heftig, da? ich gerne zur?ckgekehrt w?re, wenn sich mir eine M?glichkeit dazu gezeigt h?tte. Gegen Mittag kam von hinten und der einen Seite ein gewaltiger Druck, eine grose Anzahl Menschen und Pferde wurden niedergeworfen, ich mit ihnen. Ich lag unter meinem Pferde, bereits // S. 74// f?hlte ich die Tritte meiner Nachbarn schwer auf mir, und bereits hatte ich auf das Leben resignirt, als es endlich dem Quartiermeister gelang, mich unter dem Pferde hervorzuziehen, und seine und meine Anstrengungen brachten auch mein Pferd wieder auf die Beine. Ich bestieg es, und wir dr?ngten auf's Neue vorw?rts. Bald waren der Quartiermeister und mein Bedienter von meiner Seite gekommen, beide hatte ich aus dem Gesicht verloren. Der Kosakenl?rm begann. Ich verzweifelte, in dem Gedr?nge die Br?cke zu erreichen, und wendete mich gegen das Flu?-Ufer, um vielleicht von hier aus, wenn auch mit Zur?cklassung meines Pferdes, die Br?cke zu gewinnen. Bald aber ward ich durch einen abermaligen — von einer Schwadron gut berittener Officiere verursachten heftigen Sto? zu Boden geworfen, und vielfach gequetscht und zertreten. Ich hatte alle Hoffnung auf meine Rettung aufgegeben, niemand bot mir eine h?lfreiche Hand. Pl?tzlich dr?ngte sich ein s?chsischer K?ra?ier vor, er reichte mir auf meinen Ruf die Hand, zog mich hervor, und half meinem Pferde wieder auf. Dankbar nannte ich ihn meinen Retter. Mein Plan, die Br?cke vom Flusse aus zu besteigen, leuchtete ihm ein. Er dr?ngte sich mit seinem grosen starken Pferde gegen das Ufer, warf vor sich nieder, was nicht ausweichen konnte, ich dicht hinter ihm her. Mit vieler Anstrengung erreichten wir den Flu?, Reiter waren keine da, die Fu?g?nger in geringer Zahl, der K?lte des Wassers wegen. Die Br?cke war neben uns. Rasch sprang ich vom Pferde herab, und auf // S. 75// die Br?cke hinauf, aber eben so schnell war ich zur?ck gestossen. Ein neuer Versuch gelang. Einige kr?ftige S?belhiebe von der Hand meines K?rassiers machten mein Pferd auf die Br?cke hinaufspringen, und im Trab f?hrte ich es an das jenseitige Ufer. Hier wollte ich meinen Bedienten, den Quartiermeister und den biedern K?rassier erwarten. Die beiden ersteren kamen zu meiner h?chsten Freude bald her?ber, der K?rassier erschien nicht. — Als endlich die russischen Kanonen-Kugeln das diesseitige Ufer erreichten, und alles eiligst davon floh, zog auch ich weiter, den K?rassier sah ich nie wieder.

Ein groser Theil der Armee und das s?mmtliche Material, mit Ausnahme weniger Kanonen, war an der Beresina verlorengegangen.{678} Es waren zwar lauter Kranke, Verwundete, Kraftlose, Unbewaffnete, aber eine Ruhe und Pflege von wenigen Wochen h?tte ihre Kr?fte wieder hergestellt, und sie h?tten wieder eine kampff?hige Arm?e gebildet. Alle, die das diesseitige Ufer erreicht hatten, kehrten eilig dem unheilvollen Flusse den R?cken, und zogen rasch Wilna zu.

Aber schon in der ersten Nacht nach dem Uebergang hatte sich der Himmel aufgekl?rt, und es trat eine K?lte ein, die von Tag zu Tag zunahm, und einen Grad erreichte, der selbst in diesem Lande unerh?rt war. Die Stra?e f?hrte ?ber Zabin, Radeszkowice, Modziezno, Smorgonje und Oszmiana. In allen diesen Orten waren Besatzungen und gr?sere oder kleinere Magazine gewesen, aber auf die Kunde von den Unf?llen der Unsrigen und der Ann?herung der russischen // S. 76// S?darm?e waren die ersteren nach Wilna zur?ckgerufen und die lezteren geleert worden. Nirgends waren mehr Lebensmittel zu treffen, die wenigen zur?ckgekehrten Einwohner litten selbst bitteren Mangel. Von der Beresina an war die Verfolgung von Seiten der Russen minder heftig gewesen, denn auch sie litten unendlich durch die furchtbare K?lte. Die Ueberbleibsel der Arm?e zogen sich so rasch, als K?lte, Hunger und Kraftlosigkeit gestatteten, Wilna zu, weniger vom Feinde gedr?ngt, als vom unbeschreiblichen Elend gedr?ckt. Die Einzelnen eilten der Armee m?glichst voraus, und nahmen ihr die wenigen Lebensmittel, die etwa noch zu finden waren, weg. Schon am 6.ten Dec[em]b[e]r waren viele Fl?chtlinge in Wilna angekommen, an den zwey folgenden Tagen war das Zustr?men so gro?, da? nur von vorne ein Flu?, und von hinten der Andrang der Russen fehlte, um an den Thoren die Scenen von der Beresina zu erneuern. Am 9.ten aber wiederholten sich diese Scenen wirklich, als der russische Vortrab mit den Resten unserer Arm?e zugleich an den Thoren anlangte, und unter Morden und Pl?ndern mit ihnen in die Stadt eindrang.

Von denjenigen, die das Gl?ck gehabt hatten, das diesseitige Ufer der Beresina zu gewinnen, wurde eine grose Zahl zwischen diesem Flusse und Wilna durch die K?lte aufgerieben. Die kr?ftigsten Naturen unterlagen, wo es an Verwahrungsmitteln gegen die K?lte gebrach. Ich dankte t?glich meinem Sch?pfer daf?r, da? er mir noch zu rechter Zeit die gr?ste Kostbarkeit in diesem Umst?nden, einen Pelz //S. 77// zugef?hrt hatte. In Begleitung des Quartiermeisters Veihelmann und meines Bedienten machte ich t?glich so grose M?rsche, als die Kr?fte unserer Pferde uns gestatteten. Trotz unserer M?ntel und Pelze litten wir sehr von112 der K?lte, ungeachtet unserer Eile giengen wir an keinem Feuer, an keinem brennenden Hause vor?ber, ohne uns zuvor erw?rmt zu haben. Die? erhielt unsere Lebensgeister. Unserer grosen Eile hatten wir es zu danken, da? wir beinahe ?berall noch so viel Lebensmittel fanden, als wir drey bedurften. Meine Diarrhoe wurde immer heftiger, und entkr?ftete mich g?nzlich. Bald vermochte ich ohne H?lfe mein Pferd nicht mehr zu besteigen. Ich fasste daher den Entschlu?, wenn ich Wilna erreicht h?tte, dort zu bleiben.

In Radeszkowice trafen wir einen w?rttembergischen Lieutenant mit einem Detachement, der die Reste seines Regiments abwarten wollte, zwey Tage nachher bey der Arrieregarde verwundet wurde, und in der darauf folgenden Nacht mit dem gr?sten Theile seiner Mannschaft auf dem Piquet erfror. Ein ?hnliches Schicksal hatten 2. neu angekommene r?stige neapolitanische Reiterregimenter, die mir 2. Tagm?rsche vor Wilna begegneten, aber schon 3. Tage darauf gr?stentheils durch den entsetzlichen Frost aufgel?st worden, und zu Grunde gegangen waren. Eine Parthie russischer Infanterie, etwa 2,000. Mann, die an der Beresina von den Franzosen beym Kampfe um den Uebergang ?ber den Flu?, gefangen worden waren, und nun gegen Wilna hin transportirt wurden, hatte ebenfalls gr?stentheils das gleiche Loos. Nur wenige von // S. 78// ihnen erreichten Wilna, die meisten erfroren auf dem Bivouacq, viele, die aus Entkr?ftung oder vor K?lte erstarrt, nicht weiter zu gehen vermochten, wurden von ihrer Bedeckung niedergeschossen.

Am 7.ten Dec[em]b[e]r Vormittags kam ich mit dem Quartiermeister Veihelmann in Wilna an, mein Bedienter war auf einem D?rfchen, wo wir die lezte Nacht zugebracht hatten, aus113 Entkr?ftung gestorben.

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