Fünftes Capitel.

We use cookies. Read the Privacy and Cookie Policy

Zum Tage des Abmarsches war der 27. September bestimmt. Unmittelbar vor dem Abmarsche nahm ich herzlichen Abschied von der Schmidt-

schen Familie, und erhielt von ihr ohne mein Ansuchen ausser einem guten Hemde als Geschenk, noch ein Anlehen{727} von 25. Rubel Assignaten{728}.

Meine Reisegef?hrten waren ausser den kaum{729} genannten W?rttembergern und Bayern, der Kriegs-Commiss?r Krais und der Lieutenant v[on] Bagnato, sodann der ehemalige preussische{730} Landrath v[on] Warkaski, ein heller, aber intriganter Kopf, als Russenfeind zur Deportation ins Innere von Ru?land bestimmt, der polnische Oberstlieutenant v[on] Ninewski, die Franzosen, Stallmeister Baron v[on] Montaran, die Capit?ne Vannacker, Fanchon, Carlier, Claisse, die Lieutenants L?on, George, Dubois, Blanc p.p. im Ganzen 37. Officiere; die Zahl der Unterofficiere und Soldaten belief sich auf etwa 300. Mann. Unsere Escorte bestand aus einem gutm?thigen KosakenLieut[enant], 2. Baschkirenlieutenants, 2. Infanterie-Officieren, 2. Kosaken, 50. Baschkiren und etwa 80. Mann Landwehr (sogenannte Kreuzbauren).

In dieser Begleitung traten wir denn am 27. September den Marsch nach Czernigow, einer ungef?hr 150. Stunden // S. 147// entfernten, gegen Kiew hin gelegenen Gouvernementsstadt an. Um den dritten oder vierten Tag wurde immer Rasttag gehalten. Am 6. October erreichten wir die Festung Bobru?sk, an der uns noch im frischen Andenken stehenden Berezina. Hier sahen wir eben nicht mit groser Freude 2. w?rttembergische Kanonen, welche die Russen in einem Gefechte unweit Ko?donowo, 5. Meilen von Minsk, erobert hatten. Auch trafen wir da einen w?rttemberg'schen Unterarzt, Namens Dertinger, der im dortigen Spital verwundet wurde. Den 12. Oc- t[o]b[e]r kamen wir nach Rohaczew am Dnieper, am 19. passirten wir den Flu? Sor, und am folgenden Tage hatten wir unser letztes Quartier in russisch Polen. Tags darauf blieben wir in dem altrussischen Dorfe Dobrianka, und am 28. Oct[o]b[e]r erreichten wir die Stadt Czernigow, es ward uns aber nicht verg?nnt, in der Stadt zu bleiben, sondern wir wurden in ein dre? Werste entferntes D?rfchen verlegt.

W?hrend des ganzen Marsches von Minsk nach Czernigow hatten wir mit vielem Ungemach zu k?mpfen. Oft vermochten unsere Pferde nicht weiter zu kommen, und wir waren gen?thigt, zu Fu? zu gehen. Die Witterung war ver?nderlich, zuweilen sehr rauh, die vielen Regeng?sse hatten die Stra?e unwegsam gemacht. In den193 Quartieren erhielten wir nur Dach und Fach, und unser ?rmlicher Gehalt reichte oft kaum hin, uns ein St?ck trockenen

Brodes und ein paar Zwiebel zu verschaffen. Unsere Kleidung war zerrissen, // S. 148// die W?sche nicht minder; beide besserten wir selbst aus, und das Wei?zeug wuschen wir in den Rastlagern selbst. Die Einwohner zeigten ?berall ihren Ha? gegen uns, und stellten oft dem Leben Einzelner nach. In Rohaczew w?ren wir ohne die Dazwischenkunft unserer Bedeckung von den j?dischen Einwohnern ermordet worden. Zu Dobrianka drohte uns das Gleiche, und nur der festen Entschlossenheit des Transport-Commandanten, der auf die versammelten Bauern zu feuern drohte, dankten wir unser Leben. Es gew?hrte uns deswegen keine geringe Freude, als wir die Th?rme von Czernigow erblickten, wo wir eine ruhigere und friedlichere Existenz zu finden hofften.

Das Land von Minsk an ist meistens schlecht. Grose Strecken sind von Wald und Sumpf bedeckt. Die D?rfer sind ?rmlich, die Bewohner arm. Die St?dte sind gr?stentheils schlecht gebaut, und nur in einigen wenigen trifft man bessere Geb?ude, meistens Kirchen und Kl?ster, selten Privat- Wohnungen. Die Edelsitze sind seltener, nicht mehr jedes Dorf, wie in Pohlen, hat seinen eigenen Edelmann; die H?user sind bis an die altrussiche Gr?nze meistens unreinlich, und Ein und dasselbe Gemach dient Menschen und Vieh zum Aufenthalt. In den ehemals polnischen St?dtchen und D?rfern giebt es Juden in groser Menge, sie sind aber reinlicher, als an der // S. 149// Weichsel. Das grose wohl bev?lkerte Dorf Dobrianka, das{731} erste Ort in AltRu?land, bildet einen gewaltigen Gegensatz mit{732} den Orten, deren Bewohner der polnischen Nation angeh?ren. Dort sind die H?user, obgleich ebenfalls von aufeinander liegenden Balken zusammengef?gt, doch ger?umiger, bequemer, reinlicher. Die Fenster-Oeffnungen sind mit Glasscheiben versehen, ein ordentlicher Ofen w?rmt die Stube, Tische und B?nke sind besser gearbeitet, rein gescheuert, den Fu?boden deckt nicht veralteter Koth, er ist vielmehr sauber gefegt, und mit Sand bestreut. Die Lagerst?tte findet sich in einem abgesonderten Gemach. In der vorderen Ecke h?ngt ein Heiligenbild, dem der Bewohner beim Aus- und Eingehen jedesmal seine Ehrfurcht bezeugt. Dem Hausvieh ist zu seinem Aufenthalte ein Stall angewiesen, und nirgends ist auch nur ein St?ck Gefl?gel in einer Stube zu treffen. Der Eingang in das Wohngemach f?hrt durch einen Vorplatz, in dem die K?che sich befindet. Der Hausherr tr?gt einen langen Bart, seine Kleidung besteht aus einem bis an die Knie reichenden Ueberrock, ohne Kn?pfe, durch eine Binde um den Leib zusammengehalten, die Hosen sind weit, die F?sse sind mit Juchtenstiefeln196 bekleidet. Die Hausfrau hat den Kopf mit einem bunten, oder auch weissen Tuche umwickelt, sie tr?gt einen ihr gut stehenden Kittel, der das einzige Widrige // S. 150// hat, da? die Br?ste unter dem G?rtel herabgebunden sind. Der Rock ist von Wolle, weiss, grau oder blau, die Schuhe sind von Juchtenleder. Die Kinder sind in wollene Ueberr?ckchen gekleidet, und haben ebenfalls eine Fu?bedeckung. Bey allen ist die Kleidung reinlich gehalten. Die Art ihrer Kost ist mir nicht bekannt, denn in unserer Gegenwart assen die Leute nicht. In den meisten H?usern waren wir ein Greuel, und beinahe ?berall wurden die Heiligenbilder bey unserer Ankunft sogleich aus dem Wohngemache entfernt. Die ?brigen Orte, durch die wir von hier an bis Czernigow zogen, gleichen ?brigens dem Dorfe Dobrianka an Wohlhabenheit keineswegs, doch wird man ?berall mit Freuden gewahr, da? der Russe mehr auf Reinlichkeit h?lt, als sein polnischer Nachbar. Das Aussehen des Landes ist dagegen von Pohlen wenig verschieden.

In dem D?rfchen bey Czernigow waren unsere Quartiere h?chst elend, und unsere Nahrung war m?glichst k?rglich. Den Tag brachten wir meistens in der Stadt zu, aber vor Einbruch der Nacht kehrten wir jedesmal heim. Die langen Abende langweilten uns sehr, und bey den offenbar feindseligen Gesinnungen der Dorfbewohner gegen uns, wagten wir nicht, Nachts die H?user zu verlassen. Die Bewohner kamen ?fters in Mehrzahl in unseren Stuben zusammen, und verhandelten mit // S. 151// grosem Eifer meistens Gegenst?nde, von denen wir nicht die entfernteste Muthmassung hatten, aber wir sahen auch einmal ein Familienfest feyern, bey dem der Branntwein in Menge flo?, und das sich endlich mit v?lliger Betrunkenheit der Theilnehmer schlo?. Ein anderesmal machte sich die Jugend des Dorfes den Spa?, sich wunderlich zu masquiren, und so von Haus zu Haus zu ziehen. In meinem Quartier hatte auch eine Brautwerbung statt, bey der die jungen Leute sich ziemlich passiv und ruhig verhielten, die Eltern aber desto lebhafter waren, und die Scene zuletzt mit t?chtigen Handschl?gen endeten. Eines Morgens mit Tagesanbruch, es war am 10. Nov[em]b[e]r erschienen in dem Quartier, das ich mit dem Hauptmann v[on] Butsch theilte, mehrere betrunkene, mit Pr?geln bewaffnete Bauern, die uns von unserem Strohlager aufst?rten, und unter wohlverst?ndlichen Gesticulationen uns zu erkennen gaben, da? sie uns los werden wollen, und wir von dannen ziehen m?chten, soferne uns Leib und Leben lieb sey. In allen anderen Quartieren wurde von den Dorfbewohnern um dieselbe Tageszeit und auf die gleiche Art der nemliche Wunsch ausgedr?ckt. Wir begaben uns daher sogleich in Masse nach Czernigow, und f?hrten Klage bey dem Gouverneur, dem Commandanten, dem Platzhauptmann, dem Polizeymeister, aber ?berall vergeblich. Des Hin- und Herschickens m?de kehrten wir endlich Abends in unser Dorfchen zur?ck, und bedeuteten den Bauern, da? wir sie den andern Morgen // S. 152// f?r immer verlassen werden. Hier?ber vergn?gt liessen sie uns die Nacht ?ber in Ruhe, und am Morgen friedlich nach der Stadt abziehen.

Более 800 000 книг и аудиокниг! 📚

Получи 2 месяца Литрес Подписки в подарок и наслаждайся неограниченным чтением

ПОЛУЧИТЬ ПОДАРОК