Drittes Capitel.

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Die Kosaken, die mich gefangen genommen hatten, waren im Begriff, ein Piquet zu beziehen, und nahmen mich dahin mit. Hier pl?nderten sie meine Taschen aus, zogen mir den Ueberrock ab, und verlangten nun mein Geld. Zuf?lligerweise hatte ich dieses den Tag zuvor meinem Bedienten zum Einkauf von Lebensmitteln in Dresden ?bergeben, und so befand ich mich g?nzlich von aller Baarschaft entbl?st. Meine Zeichen, // S. 123// da? ich ohne Geld sey, wurden zwar von den Kosaken wohl verstanden, aber nicht geglaubt. Schon machten sie Miene, mich durch Schl?ge zu Herausgabe des verborgenen Geldes zu verm?gen, als ich meine Uhr, die sie noch nicht gefunden hatten, hervorzog, und sie dem Unterofficier anbot. Hiedurch rettete ich mich vor Mi?handlungen, und dem nemlichen Unterofficier hatte ich es auch zu danken, da? mir meine Stiefeln{710} blieben, die mir die Kosaken schon auszuziehen begannen. Erst, als sie sahen, da? weiter nichts bey mir zu erbeuten sey, machten sie durch Zeichen verschiedene Fragen an mich, deren Beantwortung ich aber meistentheils schuldig blieb. Nun zog ein Kosake Brod, Butter und Branntwein hervor, und ich ward gen?thigt, mit zu essen und zu trinken. Nach dem Fr?hst?ck ward ich zum Schwadrons-Commandanten gef?hrt, der bey Schwepnitz bivouacquirte, und bey dem Anblick meiner Uniform, die er von gestern her kannte, sehr erfreut war. Nach einigen unbedeutenden Fragen schickte er mich etwa 1. Stunde weit zu seinem General, der in gutem Deutsch mich um Namen und Charge162, die Art meiner Gefangennehmung, die St?rke der franz?sischen Armeen, ihre Stellung, das Hauptquartier Napoleons p.p. befragte, und mich sofort zum Vorposten-Commandanten, General Lanskoy nach Bernsdorf, 3. Stunden von Kamenz, sandte. Auch hier wurden mir mancherley Fragen gestellt, und Abends ward ich einem Kosackencommando ?bergeben, das die Bagage r?ckw?rts // S. 124// f?hren sollte, aber der Unsicherheit der Stra?e wegen bald wieder nach Bernsdorf zur?ckkehrte, und dort ?bernachtete.

Den folgenden Morgen ward ich mit dem gleichfalls gefangenen k?nigl[ich] s?chsischen Amtshauptmann v[on] Carlowitz und seinem Secret?r Conradi auf einen Wagen gepackt, um mit ihnen nach Bautzen geschickt zu werden. Um die Mittagszeit wollten wir eben durch ein Dorf fahren, als ein russischer Uhlanenoberst unserer ansichtig wurde, und uns nach kurzem Gespr?ch in das Schlo? der Geheimenr?thin v[on] Glass aus Berlin mitnahm, und zu Mittag behielt. W?hrend des Essens, bey dem unter andern auch ein alter Kosaken-Major anwesend war, wurde das Gespr?ch frey und ungezwungen gef?hrt, und kein Russe sah mich darum feindlicher an, weil ich gestand, den Feldzug in Ru?land mitgemacht zu haben. Beym Caffee beschenkte mich der Verwalter des Guts, so bald er h?rte, da? mir bey der Gefangennehmung meine Tabackspfeife abgenommen worden sey, mit einer seiner eigenen, die zwar von geringem Werthe, mir aber doch h?chst willkommen war. Nachmittags fuhren wir noch ein St?ck Wegs weiter, mu?ten aber bald wieder umkehren, und giengen nun links r?ckw?rts bis nach Wittichenau, wo wir die Nacht in Einem Zimmer, sorgf?ltig bewacht, zubrachten. Am 16. Vormittags wurden wir einer Schwadron brauner Husaren ?bergeben, und kamen links an Bautzen vorbey durch das Hauptquartier des Generals von Bl?cher, wo dieser // S. 125// General selbst, im Oberrock, den Kopf mit einem Czakow{711} bedeckt, eine lange Tabackspfeife im Munde, zu Pferde uns begegnete, einige Fragen an mich richtete, und dabey ?ber den Kampf der S?d- gegen die Norddeutschen sich hart aussprach, und wo wir darauf von preussischen Soldaten und Unterofficieren einige Zeit insultirt{712}, hernach aber von den herbeygekommenen Officieren gegen weitere Ungeb?hr besch?tzt wurden, Abends in Steind?rfel (1 1/2. Stunden von Bautzen) im Hauptquartier des Generals Grafen von Wittgenstein an, wo die 2. s?chsischen Beamten von mir getrennt wurden, und ich bis zum andern Abend mit andern Gefangenen unter Kosaken campirte. Gegen Abend wurde ich mit einem Transport von etwa 200. Gefangenen zu Fu?e nach Weissenberg und von da zur?ck nach W?rschen (2. Stunden von Bautzen) dem Hauptquartier des Kaisers Alexander, gebracht. Es war Nachts 10. Uhr, als wir hier ankamen. Ueber eine Stunde lang harrten wir mit unserer Bedeckung auf weitere Befehle. Endlich erschien die Ordre{713}, die Gefangenen in den Bivouacq der Baschkiren und Kalmuken166 zu bringen. Alsbald schlossen diese einen engen Kreis um uns, und n?thigten uns, nachdem sie den Haufen mehreremale abgez?hlt hatten, zum Niederliegen. Der Platz war sumpfig, und zu einem Nachtlager f?r ein lebendes Gesch?pf keineswegs geeignet. Gleichwohl mu?ten wir in dem Wasser liegen bleiben, uns es ward uns nicht einmal verg?nnt, nur den Kopf ausserhalb des Wassers zu halten, // S. 126// denn jedes Mal kam ein Baschkire, der den Kopf sogleich in das Wasser niederdr?ckte mit den Worten: Spiz (schlaf) Kamerad, Spiz! Es war die? die h?rteste Nacht meines Lebens. Als der Tag angebrochen war, erhielten wir zwar die Verg?nstigung aufzustehen, aber es verflossen noch ein paar Stunden, ehe uns gestattet ward, unsere durch N?sse und K?lte v?llig erstarten Glieder an einem Feuer zu w?rmen. Um 10. Uhr ward ich vor den Adjutanten des Kaisers, General v[on] Wolzogen, gebracht, und von ihm ausgefragt. Er hatte einst in w?rttembergischen Diensten gestanden, und sagte mir die?, aber er zeigte nicht die mindeste Lust, mir mein Schicksal zu erleichtern. Auf denselben Bivouacq zur?ckgebracht, traf ich mit dem Herrn v[on] Carlowitz und seinem Secret?r wieder zusammen. Bald ward ich noch einmal in das Schlo? berufen, vor einen andern General, der mir den Antrag machte, in der deutschen Legion Dienste zu nehmen, und mir dabey einerseits die V?rtheile dieses Vorschlags und andererseits das Ungemach auseinander setzte, dem ich als Gefangener entgegen gehe. Ich wies seine Antr?ge zur?ck, und ward in den vorigen Bivouacq zur?ckgebracht. Nun kam ein franz?sischer Deserteur, der sich f?r einen Adjutant Major{714} ausgab, und sich den Namen Laudon beilegte, (nachher erfuhr ich, er sey Adjutant sous Officier gewesen, und heisse Mercier,) zu uns, um mich zu bearbeiten, allein auch seine Bem?hungen und Vorstellungen bewogen mich zu keinem anderen Entschl?sse. Gegen Abend // S. 127// wurden wir einer Wache von russischer Landwehr ?bergeben. Diese Soldaten trugen eine ziemlich hohe runde M?tze von Filz, vornen mit einem A[lexander] I.{715} und einem Kreutz, einen braunen Rock mit Riemen geg?rtet, und einen Spie? als Waffen{716}. Sie behandelten uns besser, als die Baschkiren und Kalmuken, und bek?mmerten sich wenig, ob wir die Nacht stehend, sitzend oder liegend zubringen wollten. Indessen wurden wir von ihnen ebenso k?rglich verk?stigt, als es seit mehreren Tagen der Fall war, und ich kann wohl sagen, da? mir seit dem 15.ten Mittags zu jeder Stunde ein Bissen Pferde- oder Hundefleisch eine willkommene Speise gewesen w?re.

Am 19.ten Vormittags wurden endlich die vorhandenen Gefangenen r?ckw?rts transportirt. Meine Ungl?cksgef?hrten waren ein Capit?n Fischer vom Stabe des Generals Bertrand, und einige hundert Soldaten, Franzosen, Deutsche, Italiener, zum Theil im elendsten Aufzuge, und halb nackt. Auch wurde uns zu unserem grosen Leidwesen Herr Laudon zugestellt. Unsere Escorte bestand aus einem donischen Kosakenlieutenant170 mit seinem Unterofficier , 1. Baschkirenlieutenant und 20. Baschkiren. Die gefangenen Officiere erhielten W?gen, die Unteroffiziere und Soldaten gingen zu Fu?. Am ersten Tage erreichten wir die Stadt G?rlitz, in deren N?he wir bivouacquirten. Tags darauf stiessen neben mehreren Soldaten der Lieutenant Colliva und der SousLieutenant Rompani vom ersten italienischen Linieninfanterie-Regiment zu uns. Ueber Lauban, Naumburg und Bunzlau kamen wir // S. 128// am 21. ten May in Schlesien an. Den ganzen folgenden Tag ?ber, wo wir rasteten, ward eine starke Canonade geh?rt, die gegen Abend immer n?her kam, und uns darum erfreute, unsere Escorte aber mit Unruhe erf?llte. Am n?chsten Tage vernahmen wir, da? die Russen und Preussen eine Schlacht verloren h?tten, und in vollem R?ckzuge nach der Oder begriffen seyen;{717} den 24. wurden wir von den fliehenden Bagagew?gen erreicht, und w?hrend des ganzen Marsches von den Schm?hungen und theilweisen Th?tlichkeiten der rohen Trainknechte{718} verfolgt. Bey Steinau setzten wir ?ber die Oder, und gelangten ?ber Winzig, Trachenberg und Suhlau am 26. nach Militsch, dem lezten schlesischen St?dtchen, wo wir abermals einen Ruhetag machten.

Vom 20. May an wurden die Officiere ?ber Nacht in H?user einquartiert, und die Soldaten in St?lle oder Scheunen eingesperrt. Gew?hnlich bestand unsere Wohnung aus 1. Zimmer mit Strohlager, und ein Baschkire legte sich innerhalb quer vor die Th?re, w?hrend einer anderer ausserhalb derselben auf gleiche Art sich postirte. Ueberall wurden wir in den Quartieren verk?stigt, jedoch nur in so weit, als der gute Wille des Hauseigenth?mers reichte. In den Quartieren angekommen, war es uns{719} nicht mehr gestattet, auszugehen, und w?hrend des Marsches durfte keiner seinen Wagen verlasssen. Erst an Schlesiens Grenze und in Militsch zum erstenmale ward uns verg?nnt, in den Orten, wo wir einquartiert wurden, in Begleitung von Baschkiren herumzugehen. Die Soldaten wurden, wenn sie erm?det waren, oder die Nothdurft // S. 129// verrichten mu?ten, durch Schl?ge und St??e der Truppe nachgetrieben. Als sie ihre Schuhe oder Stiefeln{720} durchgetreten hatten, giengen sie baarfu? und bald war bey der ganzen Truppe kein Schuh, kein Stiefel mehr zu sehen. Auch die Unreinigkeit nahm bey ihr bald so sehr ?berhand, da? das Ungeziefer sie halb t?dtete, und von dem ganzen Transport giengen die meisten unterwegs aus Mangel an Nahrung und Kleidung, so wie durch die Strapatzen des Marsches zu Grunde.

Das Land war bis ?ber G?rlitz hinaus durch den Krieg verheert. G?rlitz ist eine wohlbev?lkerte, lebhafte Stadt, und ihre Lage sehr angenehm. Lauban und die folgenden schlesischen St?dtchen sind mehr oder weniger gut gebaut, das Land ist fruchtbar, mehr eben als bergigt{721}, gegen die Oder hin und jenseits sandigt176. Die D?rfer sind reinlich und wohlhabend. Gegen die polnische Grenze zu vermehrt sich der Sand, und St?dte und D?rfer gew?hren einen minder freundlichen Anblick. In Militsch, einem St?dtchen, das dem Grafen v[on] Malzahn geh?rt, befindet sich neben einem sch?nen Schlo?e ein ausgezeichnet sch?ner Garten.

Die Bewohner der Lausitz zeigten uns wenige Theilnahme, sie waren mit ihrer eigenen Noth zu sehr besch?ftigt. In Bautzen bezeugten uns einige Personen ihr Bedauren ?ber die Schm?hungen, die wir von preussischen Gardesoldaten zu erdulden hatten. Die Schlesier fand ich, wie ich erwartet hatte, h?chlich aufgebracht gegen die Franzosen und ihre Allirten. Sorgf?ltig verbarg ich, da? ich // S. 130// ein W?rttemberger sey und lieber wollte ich mich f?r einen Franzosen ansehen lassen. Oft brach der Ha? der Einwohner in die gr?bsten Verw?nschungen gegen uns aus, und einmal sah ich einen Mann, der dem gebildeten Stande angeh?rte, wie er sich nicht entbl?dete, seine Wuth durch Th?tlichkeiten an den armen Gefangenen auszulassen. Unsere Escorte diente uns mehreremale wirklich zu unserer eigenen177 Sicherheit. Am 28. May setzten wir unsern Marsch fort, und betraten nach wenigen Stunden das Herzogthum Warschau. In der N?he von Kalish hatten wir abermals einen Rasttag. Ueber Turek, Klodawa und Dumbrowicz kamen wir am 12. Juni in Plock an der Weichsel an, ?ber Plonsk, Nowe Miasto, Pultusk, Rozan, Lomza, Tykoczyn und Kiniszin, das erste russisch-polnische St?dtchen, gelangten wir am 5. Juli nach Bialystok und erreichten am 12. desselben Monats Grodno am Niemen.

Die Zahl meiner Ungl?cksgef?hrten hatte vom 28. May bis 12. Juli verschiedene Ver?nderungen erlitten. Von den Unteroffizieren und Soldaten waren unterwegs mehrere gestorben, andere als krank in Spit?lern zur?ckgeblieben, in einigen St?dtchen wurden dem Transport Reconvalescirte zugetheilt. Aus der Zahl der Officiere war der Capit?n Fischer am 3. Juni Abends in Czatowpansky mit unserm Vor wissen entflohen, und am 2. Juli waren in Tykoczym die Lieutenants Colliva und Rompani seinem Beispiele gefolgt. Von den beiden letzteren h?rte ich nie wieder, den ersteren aber traf ich 10. Jahre sp?ter in Stuttgart, wo er sich // S. 131// einige Tage aufhielt. Nach der Flucht dieser dreye war ich allein mit dem widrigen sogenannten Adjutant Major oder Capitaine Laudon, der mich durch Weinen und Lachen, Bitten und Drohen, zum Uebertritt in die deutsche Legion zu bewegen suchte, der ?fters Anf?lle von Verr?cktheit zeigte, und bald th?tliche Angriffe auf mich machte, bald, wenn ich sie ernst und kr?ftig zur?ckgewiesen hatte, mein Mitleiden ?ber seine Lage anflehte. Schon die Flucht Fischers hatte unsern Kosackenlieutenant aufgebracht, und noch in h?herem Grade war die? der Fall bey Colliva und Rompani, indessen war er auch die?mal bald wieder

bes?nftigt. In Bialystok ward er aber, wie er vorausgesagt hatte, dieser Vorf?lle wegen, zu unserm grosen Leidwesen seines Commandos entsetzt, und dieses einem Lieutenant des vierten Infanterie-Regiments ?bertragen. Der brave Kosake nannte sich Elia Wasiliewicz, sein Familienname ist mir entfallen.

Ausser unserem Transport zog noch ein anderer mit uns die gleiche Stra?e, bey dem die Zahl der Officiere gr?ser war, und aus Franzosen, und Italienern bestand. Mehreremale traf es sich, da? wir im nemlichen Orte unser Nachtquartier hatten, und da verfehlten wir dann nicht, einander zu besuchen, und einerseits178 durch wechselseitige Klagen uns unser Ungl?ck f?hlbarer zu machen, andererseits aber auch uns durch Gespr?che zu erheitern. Oefters versuchten wir, unsere Transportcommandanten zur Vereinigung ihrer Transporte zu // S. 132// bewegen, aber unsere Bem?hungen scheiterten am Interesse derselben. Bey dem zweiten Transporte traf ich den Herzog v[on]Mirelli, der mir erz?hlte, da? er durch einige Lanzenstiche verwundet, am Tage unserer ungl?cklichen Recognoscirung gefangen genommen worden sey; Ein anderer Officier bey diesem Transporte war der Baron v[on] Montaran, Stallmeister des franz?sischen Kaisers, in der Gegend von Gotha in Gefangenschaft gerathen, ein Pariser, den sein Loos besonders hart dr?ckte, ?brigens ein Mann von sehr gutem Character. Sp?ter kam ich noch oft mit ihm zusammen, und in Czernigow erwies er mir viele Artigkeiten. Ein dritter Officier war der Lieutenant Pechin vom 23.ten Regiment, ein junger Mensch, der sich durch seine unvertilgbare Heiterkeit bey allen beliebt gemacht hatte. In Bialystok trafen wir mehrere s?chsische Officiere, die schon auf dem R?ckzuge aus Ru?land gefangen worden, und seit Kurzem aus dem Innern Ru?lands hier angekommen waren, um, sobald sich Sachsen f?r die Sache Ru?lands erkl?ren w?rde, in ihr Vaterland zur?ckgeschickt zu werden. Mit vieler Bereitwilligkeit theilten sie uns ihre Schicksale mit, und gaben uns dadurch einen Begriff von dem, was uns bevorstand. Wenn diese Mittheilungen nicht sehr tr?stlich waren, so vermehrten sie wenigstens unsere Besorgnisse nicht, vielmehr f?hrten sie uns zur Ueberzeugung, da? unser Loos desto ertr?glicher werde, je weiter wir uns von dem Kriegsschaupl?tze // S. 133// des Jahres 1812. entfernen w?rden. Einer dieser Sachsen, der Stabschirurgus Hettermann, gab mir ein Empfehlungs-Schreiben an den Gouvernements-Medicinalraht, Dr. Schmidt in Minsk mit, das mir nachher von vielem Nutzen war, und mich zum gr?sten Danke gegen beide verpflichtete.

In der Zeit vom 28. May bis 12. Juli hatten wir manche gute, aber auch viele b?se Tage gehabt. Weithin im Herzogthum Warschau zogen wir t?glich durch russische Truppen-Detaschements, die dem Heere nacheilten, und uns ihren Groll f?hlen lie?en, und als wir diese F?hrlichkeiten{722} ?berstanden hatten, so hatten wir mit dem Hasse der russischen Besatzungen, deren wir gr?sere oder kleinere in jedem polnischen St?dtchen trafen, zu k?mpfen. Schon im ersten Nachtquartier ereignete sich ein Auftritt, der uns vor unserer Zukunft schaudern machte. Der russische Oberste Krukenikow, der hier im Quartier lag, und sich anfangs artig gegen uns benommen hatte, n?herte sich der Eingangsth?re vor der Scheuer, in welcher die gefangenen Soldaten bewacht wurden, und rief in gutem Franz?sisch einige Franzosen hervor. Bereitwillig traten sogleich zwey an die Th?re, aber kaum waren sie da angekommen, und hatten h?flich nach seinem Begehren gefragt, so hieb er unter den gr??lichsten Verw?nschungen mit scharfer Klinge auf sie ein, und w?rde sie unfehlbar ermordet haben, wenn sich die wachhabenden Baschkiren, // S. 134// und unser Kosaken-Lieutenant, der sich zum Gl?ck in der N?he befand, nicht ins Mittel geschlagen h?tten. Die Russen selbst, die herbey gekommen waren, zeigten sich h?chlich emp?rt ?ber diese That, und sie und unser Kosakenofficier ersch?pften sich in Betheurungen ihrer Mi?billigung dieses Vorfalls, und suchten uns auf alle Weise zu beruhigen. Bey dieser That lie? es aber der w?thende Barbar nicht bewenden, sondern er verfolgte unsern Transport, da er wegen Anf?llen von Verr?cktheit vom Heere entfernt wurde, und den gleichen Weg mit uns zog, einige Tage lang, mi?handelte180 in Ostrow durch Faustschl?ge und S?belhiebe den sogenannten Herrn Laudon, verfolgte mehrere von uns mit gez?cktem S?bel in den Stra?en der Stadt, und erst in Kalisch wurden wir auf unsere und unsers Kosaken-Lieutenants Klage von seinen Nachstellungen dadurch befreyt, da? er f?r einige Tage Arrest erhielt. Auch sonst hatten wir der Beispiele noch mehrere von dem tiefen Hasse der russischen Milit?rs gegen uns, aber nirgends ?usserte er sich auf eine so grelle Art.

Das Benehmen der Pohlen gegen uns war ganz verschieden von dem der Schlesier. Bey jenen fanden wir ?berall die artigste zuvorkommendste Aufnahme, jeder bedauerte die gegenw?rtige Lage der politischen Verh?ltnisse, und keiner war, der nicht offen als seinen sehnlichsten Wunsch ausgesprochen h?tte, die Wiederherstellung der Herrschaft der Franzosen in Polen. Von den Russen waren dergleichen Aeusserungen allerdings schwer verp?nt, allein sie // S. 135// konnten uns doch nicht jeden Umgang mit den Einwohnern verbieten, und diese h?teten sich wohl, ihres Herzens innerste

Geheimni?e vor ihren Feinden zu enth?llen. In den D?rfern waren wir gew?hnlich beym Edelmann einquartiert, und erhielten alles, was K?che und Keller vermochten, und ausserdem ward den gefangenen Soldaten an Lebensmitteln so viel als m?glich zugesteckt. Weniger gut gieng es uns in den St?dten, doch auch hier fanden sich meistens Einwohner, Edelleute, Beamte, B?rger, die unser Loos zu erleichtern suchten, und nicht selten uns in Wirthsh?usern auf ihre Kosten artig und frugal bewirtheten. Die guten Pohlen lie?en es aber hiebey nicht bewenden. Zwar machten sie uns keine Anerbietungen von Geld-Unterst?tzungen, weil sie wohl wu?ten, da? wir dergleichen nicht angenommen haben w?rden, dagegen halfen sie unserem und der Soldaten Mangel an Bekleidung und Wei?zeug zuvorkommend ab. Schon im ersten polnischen Orte, in Faliszewo, wo wir Rasttag hielten, ward mir von einer Tochter des Herrn v[on] Grumkewicz ein Hemd verfertigt. In Plock181 erbot sich sogar ein junges Frauenzimmer von guter Familie, dem Lieutenant Pechin zur Flucht beh?lflich zu seyn, und an seiner Statt in die Gefangenschaft zu gehen, nat?rlicherweise wies aber Pechin diesen Vorschlag ger?hrt zur?ck. Mehreremale wurden wir auf dem Marsche durch D?rfer von Edelleuten, einmal auch von einer Edeldame angehalten, um Erfrischungen bey ihnen einzunehmen, die uns f?r den ganzen Tag jede weitere Nahrung // S. 136// entbehrlich machten. Weniger willkommen waren wir den j?dischen Wirthen. Nicht nur hatten wir bey ihnen Alles, Dach und Fach182 ausgenommen, zu bezahlen, sondern sie verhehlten auch nicht, wie ungerne sie uns ungeachtet der Bezahlung bey ihnen sahen. Manche ?usserten grose Furcht vor der R?ckkehr der Franzosen, und mochten dazu ihre guten Gr?nde haben, doch gab es auch anders Gesinnte, die keine solche Besorgnisse blicken Hessen, und aus Menschlichkeit Gutes ?bten. Das allgemeine Uebel in Pohlen, die Unreinlichkeit, ward uns weniger zur Last, als fr?her, einestheils weil wir daran kein so groses Aergerni? mehr nahmen, und anderntheils, weil wir das Gl?ck hatten, meistens in besseren H?usern unser Obdach zu finden. Indessen sah ich auch die?mal wieder, wie das Jahr vorher, an der Weichsel die eckelhafte Krankheit, die unter dem Namen des Weichselzopfs bekannt ist. Die Kopfhaare kleben zusammen, und d?rfen in diesem Zustande weder gek?mmt, noch abgeschnitten werden, indem lezteres unvermeidlich eine Abzehrung zur Folge hat. Der Kranke ist kraftlos und von bleicher schmeerartiger Gesichtsfarbe, mancher wird im Verlauf der Jahre, wenn die kranken Haare ausfallen, wieder hergestellt, manche andere befreit erst der Tod von ihrem Uebel. Bey den Pohlen ist diese Krankheit {723} weniger h?ufig, als bey den Juden, und die Ursachen m?gen; neben ?rtlichen Einfl?ssen, besonders in der ausserordentlichen Unreinlichkeit liegen.

Unser Verkehr mit den Edelleuten ward gew?hnlich in franz?sischer // S. 137// oder deutscher Sprache gef?hrt, wo aber, was jedoch selten war, der Edelmann keine von beiden Sprachen verstand, so half manchmal die lateinische aus, im Nothfalle aber waren immer Juden zur Hand, die neben der Landessprache, s?mmtlich ein sehr verdorbenes Deutsch sprechen, und die? ihre Sprache nennen.

Von dem Tage an, als wir das Herzogthum Warschau betraten, erhielt jeder Officier alle 5. Tage einen halben preussischen Thaler (50 Groschen) pro Tag zu seiner Subsistenz, und dieses wenige reichte in einem Lande, wo wir beinahe aller Orten freye Verpflegung fanden, zu Bestreitung unserer Bed?rfnisse nicht nur hin, sondern machte es uns m?glich, f?r schlimmere Zeiten ein kleines Capital zu sammeln. Diese Vorsicht kam uns bald wohl zu statten, denn beym Eintritt in Russisch Polen ward uns verk?ndet, da? wir fortan auf russiche L?hnung gesetzt seyen, und t?glich einen halben Rubel in Papier, d[as] h[ei?t] nach unserem Gelde 14. Kreutzer empfangen werden. Ein h?rterer Schlag h?tte uns nicht treffen k?nnen, doch versicherten die s?chsischen Officiere in Bialystok, da? wir damit im Innern Ru?lands wohl ausreichen k?nnen, und auf dem Marsche dahin gewi? zuweilen Quartiere finden werden, in denen wir die Verpflegung entweder frey, oder doch in sehr billigen Preisen erhalten w?rden.

Das Land von der schlesischen Grenze bis zum Niemen ist mehr oder weniger eben, nirgends bergigt, es hat meistens Sand- oder doch leichten Boden, in einigen Gegenden, wie bey Pultusk, sehr // S. 138// viele und grose Waldungen. Der Ackerbau ist beinahe die einzige Nahrungsquelle der Bewohner, die Viehzucht ist nicht von Bedeutung, eben so wenig die Pferdezucht. Fabriken und Manufacturen sind nirgends zu treffen, der Handel ist auf die wenigen Landes-Producte beschr?nkt. Die meisten Handwerke werden von Juden getrieben, wie diese auch beinahe die einzigen Wirthe sind.

Die D?rfer sind schlecht, und ihre Einwohner arm und elend, wie ich schon fr?her bemerkt habe. Dagegen sind die St?dte besser, und einge, wie Kalish, Plock{724} und Lomza, wohl den besseren St?dten OstPreussens an die Seite zu stellen. Bialystok ist ein recht angenehmes St?dtchen, aber auch diese Stadt, wie die vorhergenannten, verdankt sein besseres Aussehen der Zeit der preussischen Regierung.184

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