Siebentes Capitel.
Um die Mitte des Augusts, als die Absicht der Russen, // S. 43// ihren R?ckzug auf Moskau zu nehmen, offenbar geworden war, brach die grose Armee aus der Umgegend von Witepsk wieder auf, r?ckte gegen Smolensk vor, nahm diese Stadt mit Sturm, lieferte im sogenannten h[eiligen] Thale dem Feinde eine blutige Schlacht, und traf endlich am 4. Sept[em]b[e]r unter fortw?hrenden Gefechten in der N?he von Mosaisk ein. Hier hatten die Russen eine feste Stellung genommen, die sie auf's aeusserste vertheidigen zu wollen schienen. Hier sollte ?ber den Besitz von Moskau entschieden werden. Den 5. Sept[em]b[e]r wurde nach grosem Blutvergiesen eine feindliche Schanze genommen, durch deren Verlust die russische Stellung bedeutend gef?hrdet wurde.{637} Allein ohne eine Schlacht zu wagen, konnte der russische Feldherr{638} die zweite Hauptstadt des Reiches nicht aufgeben, und so suchte er denn unter grosen Anstrengungen die verlorne Schanze wieder zu gewinnen, jedoch vergeblich. Der 6.te Sept[em]b[e]r war nun f?r beide Heere ein Tag der Ruhe, und zugleich der Vorbereitung auf das blutige Schauspiel, das den folgenden Tag aufgef?hrt werden sollte.
Unsere Division marschirte am 13. August von Rudnia ab gegen Liosna zur?ck, und deckte bis zum 21. durch verschiedene Hin- und Herm?rsche den linken Fl?gel der grosen Armee. Nirgends stiessen wir auf bedeutendere feindliche Streitkr?fte. Am 21.ten rief uns h?herer Befehl von dieser Bestimmung ab, und wieder r?ckw?rts ?ber Inkowo und Lendzi bis Liosna, um den R?cken der // S. 44// Armee von einem feindlichen Streifcorps zu s?ubern. Nachdem uns die? ohne grose M?he gelungen war, giengen wir ?ber Babinowieszi und Usjanikowa wieder vorw?rts gegen Smolensk, wendeten und dann aber links nach Parezia, und gelangten am 31. August ?ber den Dniepr in Dorogobusz auf die grose von Smolensk nach Moskau f?hrende Stra?e. Von hier an r?ckten wir der grosen Armee in forcirten Tagm?rschen nach ?ber Wiasma und Gsziat, und erreichten sie am Vorabend der Schlacht bey Mosaisk.
Auf unserem ganzen Marsche vom 13. August bis 6. Sept[em]b[e]r hatten wir kein Gefecht von Bedeutung zu bestehen, und nur einzelne unbedeutende Angriffe auf unsere Avant- oder Arriere-Garde, auf Vedetten{639} und Fouragierende, gaben das Daseyn des Feindes zu erkennen. Das Land, das wir zu Vertreibung des feindlichen Streifcorps durchzogen, lag ausser der Marschroute der grosen Armee, und war darum von den Bewohnern nicht verlassen. Doch hatten diese ihre besten Habseligkeiten gefl?chtet, und die einzige Beute, die wir machten, bestand in so viel Lebensmitteln, als unser kleines Corps zur Subsistenz auf einige Tage bedurfte. Die Bewohner selbst zeigten sich nat?rlich ?usserst zur?ckhaltend, und wir hatten durchaus keinen Verkehr mit ihnen. Die an die grose Heerstra?e n?her angrenzenden Gegenden waren schon bey unserer Ankunft von den Bewohnern verlassen worden. Ausser solchen Gegenst?nden, die schwer wegzuschaffen sind, wie grose BranntweinF?sser p.p. fanden // S. 45// wir keine Lebensmittel vor. Auf unserem Zuge auf der grosen Heerstra?e von Dorogobusz an im R?cken der Armee fanden wir Alles verw?stet und zerst?rt. Dorogobusz, Wiasma, Gsziat, alle drey bedeutende St?dte, und letzteres eine sch?ne Stadt, waren ?de, gr?stentheils niedergebrannt, nirgends ein Einwohner; die an der Stra?e gelegenen D?rfer waren ebenso verlassen, aber in geringerem Grade verw?stet. Die eben genannten 3. St?dte hatten bereits franz?sische Besatzungen erhalten, die sich's in den ?briggebliebenen H?usern, den vielen und zum Theil sehr sch?nen Kirchen und Kl?stern so bequem als m?glich machten. Die Witterung war bis daher gut gewesen, im August waren die Tage zum Theil noch sehr hei?, aber die N?chte fiengen an, k?hl und bald kalt zu werden. Wenn dieser Wechsel der Temperatur auf unsere Gesundheit von nachtheiligem Einfl?sse war, so mu?te die? noch weit mehr bey der gro?en Armee der Fall seyn. Wir trafen von Dorogobusz an ?berall viele, oft sehr viele Soldaten, die an der Stra?e aus Entkr?ftung liegen geblieben, und aus Mangel an H?lfe gestorben waren. Bey dem schnellen Vorr?cken, und der von Smolensk an wieder sich zeigenden Verheerung von Seiten der Russen w?re es selbst dem besten Willen und den th?tigsten Anordnungen nicht m?glich gewesen, Spit?ler zu Aufnahme der Kranken und Entkr?fteten zu errichten. So wie die Kr?fte der Menschen schwanden, ebenso schwanden die der Pferde dahin. Diese, fr?her an den n?hrenden Haber{640} gew?hnt, // S. 46// hatten durch die Entbehrung dieses Futters, und auf blossen gr?nen Roggen beschr?nkt, zwar weniger das runde Aussehen, als vielmehr ihre Kr?fte verloren, und fielen in Folge eines starken Rittes zu Hunderten. Wir trafen an der grosen Heerstra?e ihrer in Menge, und bildeten uns daraus eben nicht die vortheilhaftesten Begriffe von dem Zustande der Cavallerie und der Artillerie bey der grosen Armee.
Bey unserer Ankunft bey der grosen Armee am Abend des 6. Septfernher] trafen wir alles munter und guter Dinge. Die N?he von Moskau, das Ende der Entbehrungen, das man von der Einnahme dieser Stadt erwartete, bey Manchem wohl auch die reiche Beute, auf die er rechnete, endlich vor Allem die Gelegenheit zur Auszeichnung, die der morgende{641} Tag ohne Zweifel in F?lle{642} darbot, hatte alle Gem?ther erregt, und bey unserm Einzug in das Lager empfiengen wir von allen Seiten Gl?ckw?nsche ?ber unsere zeitgem??e Ankunft. Es herrschte ein reges Leben, und wer nicht die meistens abgezehrten und blassen Gesichter betrachtete, h?tte glauben k?nnen, er befinde sich in einem Lager, das an Gen?ssen aller Art Ueberflu? hat. Indessen waren die Waffen in brauchbaren Stand gestellt, und von oben herab kam der Befehl, sich bald zur Ruhe zu begeben, um morgen bey Zeiten das Tagwerk beginnen zu k?nnen. Viele legten sich sorglos und freudig nieder, und dachten nicht, da? die? die lezte Nacht ihres irdischen Lebens sey, alle aber hatten nur Einen Gedanken, // S. 47// den, da? es so nicht l?nger mehr gehen k?nne, da? es besser werden m?sse, durch die Eroberung von Moskau, wo nicht, doch durch den Uebergang in eine andere Welt. Die numerische St?rke der Armee war freilich sehr geschmolzen, aber die immer noch sehr bedeutenden Ueberreste bestanden aus den kr?ftigsten und erprobtesten Kriegern, und das feurige und k?hne Auge in dem obgleich abgezehrten Gesichte versprach gewi?en Sieg.
Vom 13. August an war mir nichts Erhebliches begegnet. Ich theilte Leiden und Freuden immer mit dem Regimente. Anfangs Mangel leidend, darauf im Ueberflu? lebend — was nemlich damals f?r Ueberflu? galt, Branntwein, Brod und Fleisch zur Nothdurft — endlich wieder der dringendsten Lebensbed?rfnisse entbehrend, war ich zwar gesund, aber ziemlich kraftlos, ohne Subsistenzmittel{643}, bey der grosen Armee angekommen, und eine elende BrodSuppe mit einem Lichtst?mpfchen geschm?lzt, war die einzige St?rkung, die mir der Vorabend der grosen Schlacht darbot. Gleichwohl vergn?gt, die Mahnungen meines Magens nur einigermaasen beschwichtigen zu k?nnen, geno? ich die eckle{644} Speise mit grosem Appetit, legte mich zur Ruhe nieder, und schlief gleich den Andern, so ruhig, wie wenn der folgende Tag ein gew?hnlicher, und seinen Br?dern wie ein Ey dem andern ?hnlich seyn sollte.
Mit Tagesanbruch war die ganze Armee auf den Beinen. Schon fielen einzelne Flintensch?sse. Das Regiment sa? auf, schlo? // S. 48// sich an die 2. ?brigen Regimenter der Brigade an.{645} Ein franz?sischer Adjutant erschien, ein Papier in der Hand. Es enthielt die kurze, aber kr?ftige Proclamation Napoleons an seine Armee. Der Oberst las sie vor. Die Truppen wurden an ihre fr?heren Siege erinnert. Der Sieg und die Einnahme von Moskau verhie?en das Ende der Leiden. Allgemein war der Enthusiasmus. Nicht lange, so fielen mehrere Kanonensch?sse, und die Schlacht begann. Auf allen Seiten donnerte das Gesch?z. Oft war das Kleingewehrfeuer nicht mehr h?rbar vor dem Gebr?ll der Kanonen. Wir r?ckten in die Linie ein, und vor. Einzelne russische Kugeln begr??ten uns, das Handgemenge war vorne allgemein geworden. Wir standen in einem Hagel von Kart?tschen.{646} Polnische Landers{647} waren geworfen, und kamen erst hinter unserer Fronte wieder zum Stehen. Wir waren im Begriff, anzugreifen, der Feind wartete es aber nicht ab, sondern gieng zur?ck, und Kart?tschen von der einen, und Kanonenkugeln von der andern Seite w?theten in unsern Reihen. Ein Defilee vor uns wurde genommen. Schnell r?ckten wir durch dasselbe vor, in dessen Tiefe wir f?r einige Augenblicke Schutz fanden vor den Verheerungen des feindlichen Gesch?tzes. Am jenseitigen Rande m?hte die Kart?tsche noch f?rchterlicher unter uns, und wir r?ckten schnell vor. Mehrere Angriffe{648} der vor uns stehenden Reiterey wurden abgeschlagen, wir hielten, w?hrend auf andern Seiten die Infanterie ihre grausige Arbeit fortsetzte. Eine halbe Stunde //S. 49// lang waren wir einem m?rderischen Feuer ausgesetzt. Endlich giengen wir wieder vorw?rts, und grose Massen Cavallerie standen uns entgegen, deren Meister wir wohl nicht geworden w?ren. Vier und zwanzig St?cke Gesch?tz eilten herbey, und spielten auf die feindlichen Massen. Neun Regimenter kamen zu unserer Unterst?tzung, und mehrere feindliche Angriffe wurden gl?cklich abgeschlagen. Immer noch w?thete unter uns das Gesch?tz der Russen. Endlich waren die Hauptpositionen des Feindes genommen, und die russische Armee begann ihren R?ckzug. Die Reiterey und Artillerie vor uns war nach und nach verschwunden. Das Kanonen- und Kart?tschenFeuer gegen uns hatte aufgeh?rt. Noch spielte auf unserer Seite eine Batterie von 6. St?ck, w?hrend in einem Geb?sche vor uns nur noch eine Abtheilung russischer J?ger stand, welche es auf die Offiziere abgesehen hatten. Neben mir ward ein Offizier verwundet, und im n?mlichen Augenblick erhielt ich einen Prellschu? auf den Kopfreif meines Kaskets, der mich bet?ubte, und zu Boden st?rzte. Die Schlacht war gewonnen, und nur noch einen Angriff machte das Regiment nach meiner Verwundung.
Es war halb 6. Uhr, als ich verwundet das Regiment verlassen mu?te. Mit mir hatten an diesem Tage das gleiche Schicksal noch 4. Officiere des Regiments, und einer war geblieben.{649} Von den 180. Mann, die das Regiment Morgens noch z?hlte, war die H?lfte theils todt, theils verwundet. Unser Brigade- // S. 50// General und sein Nachfolger, der Divisions-General und seine 2. Nachfolger im Commando waren die 3. ersteren und der letzte blessirt, der 4.te todt. Der Corpscommandant, General Montbrun, ward von einer Haubitze get?dtet.
Die Troph?en der Schlacht waren unbedeutend. Kaum einige 100. Gefangene, und nicht Eine brauchbare Kanone fielen in unsere H?nde. Die Russen hatten mit groser Tapferkeit und Erbitterung gefochten, viele von ihnen waren betrunken. Achthundert Kanonen hatten von beyden Seiten den Tod verbreitet.{650} Der Verlust an Todten und Verwundeten belief sich auf beyden Seiten ?ber 40,000 Mann, besiegt, aber nicht geschlagen zogen sich die Russen zur?ck.{651}
Ich wurde zur w?rttembergischen Ambulance zur?ckgebracht. Unterwegs kam ich an dem Kaiser vorbey. Er schien ziemlich kalt, und mochte wohl einen gl?nzenden Erfolg sich versprochen haben.
Der Regiments-Arzt Roos verband mich.{652} Viele Bekannte traf ich da, mehr oder minder schwer verwundet, mehrere verst?mmelt, einige hatte schon ihren letzten Athem ausgehaucht. Ich gieng von einem J?ger, der mich unterst?tzte, begleitet, weiter zur?ck, hatte das Gl?ck, etwas Brod und Branntwein f?r 2. preussische Thaler zu erhalten, und schlug mit andern w?rttembergischen Verwundeten mein Nachtlager an einer Scheune auf, von wo ich am folgenden Tag mit ihnen in das Dorf Elnia, eine halbe Stunde vom Schlachtfeld, gebracht wurde. Hier wurden die verwundeten W?rttemberger in mehrere // S. 51// H?user verlegt, und sollten da ihre Genesung abwarten. —
Seit dem 21. Juny war ich das erstemal wieder unter Dach. Bis dahin hatte ich die Nacht theils unter freyem Himmel, theils in Baracken von Stroh zugebracht. Oft lag ich auf der blosen Erde, wenn sich ?ber mir der Himmel in Str?men ergo?, oft waren mir die Kleider am Leibe mehrere Tage nicht trocken geworden. Schon hatte sich in Folge der unvermeidlichen Unreinlichkeit hie und da Ungeziefer gezeigt. Von unserem Uebergang ?ber den Niemen an war meine Nahrung schlecht gewesen. Schon in den ersten Tagen fehlte das Brod, die einzige Nahrung bestand aus Rindfleisch und elendem Kornbranntwein. Zuweilen gl?ckte es mir, Brod zu erhalten, aber Mund und Schlund str?ubten sich gegen dessen Genu?, weil das Korn nur halb zermahlen war, und die reichliche Beygabe von Roggenangeln{653} Kauen und Schlucken anf?nglich gef?hrlich, nachher wenigstens beschwerlich machte. In Folge der schlechten Lebensmittel und des h?ufig noch schlechtem, aus Cisternen gesch?pften, faulen, doch eiskalten Wassers stellte sich zwischen Wilna und der D?na eine Diarrh?e bey mir ein, die mich dergestalt entkr?ftete, da? ich kaum ohne fremde H?lfe mein Pferd zu besteigen vermochte. Nach etwa 8. Tagen verlor sich zwar der Durchfall wieder, aber die entschwundenen Kr?fte kehrten nur zum Theile zur?ck. Meine Pferde waren durch die starken M?rsche bald kraftlos geworden, und der gr?n abgem?hte Roggen hatte nicht hingereicht, den t?glichen Aufwand an Kraft // S. 52// wieder zu ersetzen. So hatte ich denn schon lange vor der Schlacht von Mosaisk kein einziges meiner Pferde mehr, mit denen ich ?ber den Niemen gegangen war. Ein russisches Cosakenpferd war mein Dienstpferd geworden, und Bedienter und Bagage wurden von russischen Bauernpferden getragen.
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