Erstes Capitel.
Im Anfange des Monats Februar 1812. traf der so ungeduldig erwartete Befehl zu Einberufung der Beurlaubten ein. Nun hatten wir vollauf zu thun, aber eine fr?hliche Zeit. Etliche Tage Urlaub ben?zte ich, um meiner Mutter und meinen Geschwistern{579} in Tuttlingen Lebewohl zu sagen. // S. 3//
An einem sch?nen Fr?hlingstage, es war der 17. Februar des Jahres 1812. verlie?en wir unsere Garnisonen Ehingen, Riedlingen und Blaubeuren, und traten den Marsch ins w?rttembergische Unterland an.{580} Durch Zwiefalten, die fr?here Garnison — gieng der Zug ?ber Stuttgart bis Eglosheim bey Ludwigsburg, wo wir am 20.ten Februar eintrafen. Tags darauf ward in Ludwigsburg Musterung gehalten von dem General-Inspector der Cavallerie, General v[on] Dillen, und hernach vom K?nig{581}, aber vor den Augen weder des einen, noch des andern fand der keineswegs in hoher Gunst stehende Oberste mit seinem Regiment gro?e Gnade.{582} Am 23.ten brachen wir wieder auf, und kamen den 24.ten in der Gegend von Heilbronn an.
Hier war der Sammelplatz des w?rttembergischen Armeecorps, und ein Wiesengrund nahe bey Heilbronn der Platz, wo der K?nig 14/15. Theile seiner sch?nen Truppen zum leztenmale sah.
Hier in dem sch?nsten Theile des Vaterlandes that sich jeder nach M?glichkeit noch g?tlich. Nach einem Aufenthalt von 15. Tagen, w?hrend welcher des Exercirens und Musterns kein Ende war, brach das Armeecorps unter dem Oberbefehl des Kronprinzen in 4. Colonnen{583} — das J?gerregiment Herzog Louis bey der leztern — auf, und nahm seinen Weg ?ber Heilbronn, Neustadt, Oehringen und K?nzelsau nach Weikersheim.{584} Auf dem Marsche durch W?rttemberg war keiner von einer gewissen Unruhe frey, die ihm die Heimkehr in die Garnison immer noch als m?glich vorstellte, // S. 4// da die Gewisheit des Kriegs weder vom commandirenden General, noch von dem ihm zun?chst stehenden General v[on] Scheler ausgesprochen war und auch keine Zeitung von dem nahen Ausbruche eines Krieges Erw?hnung that. Schon, als der Befehl zur Einberufung der Beurlaubten gegeben wurde, glaubten wir nur an einen Krieg mit Ru?land, und die Richtung unseres Marsches best?tigte diese Meinung, aber noch immer zweifelten wir an der Gewi?heit des Kriegs.
Als wir aber die vaterl?ndische Grenze ?berschritten hatten, da wurden wir ?berzeugt, da bef?rchtete keiner mehr die Heimkehr, um die Brust wurde es leichter, und die Soldaten sangen:
Br?der jetzt geht's Ru?land zu. — Unsere Erwartung war sehr gespannt; wenn wir auch keine goldenen Berge in Ru?land erwarteten, so glaubten wir doch die sch?nsten und besten Pferde — (der h?chste Wunsch des Reiters —) in Menge, und die Lebensmittel im Ueberflu? zu finden; an einen russischen Winter dachte niemand, keiner konnte sich eine Vorstellung davon machen; einige wenige sagten zwar bed?chtlich: wartet nur! aber sie predigten tauben Ohren. Doch, was h?tte es geholfen, uns unsern gl?cklichen Wahn zu benehmen? Und ist es nicht besser, da? der Soldat dem Kampfe fr?hlich entgegen gehe, als da? er, die schrecklichen Leiden und Strapatzen voraussehend, nur mit Unwillen seinem Berufe folge? So zogen wir heiter dahin, und waren es wohl zufrieden, da? immer nur der 6.te Tag zur Ruhe bestimmt war. Im W?rzburg'schen // S. 5// fanden wir die Quartiere nicht so gut als in W?rttemberg, obgleich dieses Land jenem an Fruchtbarkeit und Wohlhabenheit nachsteht. Den sch?nsten Theil des MaynThales sahen wir nicht. Unser Weg gieng, wie es gew?hnlich bey grosen Truppenm?rschen die leichte Waffe trifft, nicht immer auf Heerstra?en, wenigstens durch das W?rzburgische, und in den s?chsischen Herzogth?mern giebt es ?berhaupt nur wenige Kunststra?en. In Hildburghausen hatte ich die Ehre, dem Herzog{585} den Durchmarsch unsers Regiments anzumelden. Dort und in Schleusingen glaubten wir schon das Spr?chwort wegen der s?chsischen M?dchen wahr zu finden.{586}
Am 23. M?rz gieng die lezte Colonne ?ber den Th?ringerwald. Ich hatte mich sehr auf dieses Gebirge gefreut, und nicht umsonst. Unweit Frauenwalde, dem h?chsten Orte auf dieser Stra?e, ist ein Punct, von wo aus einer der sch?nsten Theile dieses herrlichen Gebirges himmelhohe waldgekr?nte Berge mit tiefen freundlichen Th?lern in mannichfaltiger Abwechslung sich dem Auge darstellen. Die sch?nen Ruinen ber?hmter Burgen — die Gleichenburg, die Ilmenburg, wo der wackere Hasper ? Spada hau?te{587} — und andere erinnern an die Bl?thezeit der deutschen Kraft. Am jenseitigen Fu?e des Gebirges liegt das niedliche St?dtchen Ilmenau. Noch ist das Land geb?rgig bis gegen Rudolstadt zu, wohin uns das Gl?ck durch ein h?chst romantisches{588}, von der Schwarzach durchstr?mtes, bisweilen wohl auch durchtobtes Thal, an der ehrw?rdigen Schwarzburg // S. 6// vorbey, und dann erst in das eigentliche Sachsen einf?hrte. Das sch?ne Saalethal kaum ber?hrend, kamen wir durch einige unbedeutende s?chsische St?dtchen, wie Roda, Eisenberg und Krossen, und durch das bedeutendere Zeitz mit dem letzten Tage des M?rz in der N?he von Leipzig an, wo uns einige Zeit zur Erholung geg?nnt wurde.
In der Gegend von Leipzig trafen wir das Erstemal mit Franzosen zusammen. Schon vorher war uns Vermeidung aller Streitigkeiten mit ihnen ernstlich empfohlen worden, aber schon am ersten Tage w?rde eine Zahl von 20. Conscribirten, die durch ihr ungeb?hrliches Benehmen wahrscheinlich die deutsche Geduld auf die Probe stellen wollten, eine ernsthafte Scene veranla?t haben, wenn sich der wackere Wachtmeister Beck weniger fest benommen h?tte.
Bis hieher waren unsere Erwartungen nicht nur nicht herabgestimmt, sondern sogar noch gesteigert worden. Schon im Vaterlande hatten wir gute Quartiere und Ueberflu? an dem k?stlichen Eilferwein gehabt,{589} im W?rzburgischen waren zwar die Quartiere in Absicht auf das Essen minder gut, aber ?ber dem herrlichen Maynwein verga? man gern die geringere Kost. In Th?ringen wurden wir schon nach s?chsischer Weise bewirthet, und je n?her wir gegen Leipzig anr?ckten, desto besser gefielen wir uns bey unseren Wirthen. Das sch?ne Sachsen hatte sich damals von den Drangsalen des Krieges im Jahre 1806.{590} gr?stentheils wieder erholt, und gute Erndten hatten den Landmann wieder in h?heren Wohlstand gesetzt. // S. 7//
Die Gutm?thigkeit und der gute Wille, womit uns der b?rgerliche Sachse ?berall gab, was K?he und Kelber vermochten, setzten uns ?fters in Erstaunen; dagegen war vom s?chsischen Edelmann nicht immer das n?mliche zu r?hmen. Der letzte Krieg mochte freilich manchem tiefe Wunden geschlagen haben, aber mir schien, als ob hie und da eine Familie durch den sehr hoch gestiegenen Luxus herunter k?me, oder schon herabgekommen sey. Die? und der grelle Contrast, den manches Edelmannsdorf in diesem gesegneten Lande mit den k?nigl[ichen] D?rfern bildete, sprach eben nicht sehr zu Gunsten der s?chsischen Edelleute, und es war leicht zu sehen, da? sie eine r?hmliche Ausnahme in ihrem Stande nicht machten. Einzelne Ausnahmen fand ich allerdings, wie bei dem Grafen v[on] Hohenthal, in dessen Schlosse zu Knauthayn bey Leipzig ich mehrere Tage mich aufhielt, und einigen anderen vom h?heren Adel; ?berhaupt aber und ?berall schienen die Klagen ?ber Druck der Grundherren haupts?chlich nur von den kleineren Edelleuten veranla?t zu seyn. Auf dem ganzen Marsche hatten wir bis hieher immer sehr vergn?gt zusammengelebt. Mancher lustige Auftritt, den einer oder der andere in seinem Quartiere gehabt hatte, wurde unterwegs bey einem Halt und guten Fr?hst?ck dem versammelten Offtcierscorps preisgegeben; es vergieng kein Tag, wo nicht etwas dergleichen vorfiel, und wenn die Anekdote vielleicht auch nicht immer buchst?blich wahr war, so unterhielt sie doch. Besonders belustigte der gutm?thige, brave Hstn.{591} mit seinen 1.t?gigen Liebschaften und naiven Einf?llen. Einen angenehmen Gesellschafter hatte ich — // S. 8// meistens mit einer halben Schwadron auf D?rfer verlegt — an dem Lieutenant K...,{592} der mir neben seiner wissenschaftlichen Bildung auch wegen seines Talents zum Singen sehr werth war.
Auf dem Wege von Heilbronn bis in Leipzigs N?he waren wir durch manche sch?ne Gegend gezogen, hatten mehrere niedliche St?dtchen und wohlhabende D?rfer gesehen, und verschiedene Wirthe gehabt. Eines meiner angenehmsten Quartiere hatte ich beym Amtsschreiber Geisse zu Marienburghausen bey Ha?furt. Die Geradheit des Mannes und die sorgliche Gesch?ftigkeit der Frau zogen mich sehr an diese Familie an. Auch einige andere Hauswirthe, namentlich zu Fr?hstockheim im W?rzburgischen, zu Martinroda bey Ilmenau, zu Cumbach bey Rudolstadt und zu Unter-Schwednitz bey Zeitz haben mich durch ihre Sorgfalt und Aufmerksamkeit, die sie uns als Deutschen bewiesen, zur Dankbarkeit verpflichtet. Eine ausgezeichnete Bewirthung fand ich in dem Schlosse des Grafen Hohenthal zu Knauthayn und eine vortreffliche Unterhaltung in seiner gutgew?hlten Bibliothek. Bey Gelegenheit einer Musterung, die unser Kronprinz hielt, sah ich die Stadt Leipzig, die Pleissenburg, und die sch?ne Niederlage von Mei?ner Porcell?n. Mehrere andere Merkw?rdigkeiten noch zu sehen gestattete mir die K?rze der Zeit nicht. ?berdie? befand ich mich in Knauthayn zu wohl, um gerne lange abwesend zu seyn. Aber der sch?ne Aufenthalt daselbst w?hrte nur vom 1—6.ten April einschlie?lich. Ein Befehl des franz?sischen Kaisers rief uns aus Leipzigs herrlicher Umgebung ab, und nach Frankfurt // S. 9// an der Oder. Es ahnte uns, da? es uns lange Zeit nicht mehr so gut werden w?rde, denn das jenseitige Sachsen{593} versprach uns keinen so angenehmen Aufenthalt, und vom Brandenburgischen erwarteten wir noch weniger, da die W?rttemberger vom Jahr 1806. und 1807. her noch keine ehrenvolle Celebrit?t{594} bey den dortigen Bewohnern geno?en.