Viertes Capitel.
In Grodno kam ich krank an. Seit 14. Tagen litt ich an einer Augenentz?ndung, die mir die heisse Witterung, noch mehr aber der Flugsand zugezogen hatte, und die mir das Augenlicht zu rauben drohte. Ein Arzt, den ich dar?ber consultirte, gab mir den Rath, den Civilgouverneur, Etatsrath Leschern, zu bitten, mir bis zu meiner Wiederherstellung den Aufenthalt in Grodno zu gestatten, und er selbst begleitete mich // S. 139// dahin, um meine Bitte zu unterst?tzen; dieses hatte denn auch wirklich den gew?nschten Erfolg. Als ich das Haus des Gouverneurs verlies, stie? ich auf einen russischen Beamten, der in norddeutschem Dialect sich nach meiner Lage erkundigte, mich sofort in seine Wohnung zum Mittagessen mitnahm, und die Eifersucht der Russen nicht scheuend, mich f?r die Zeit meines hiesigen Aufenthalts zum Mittagstisch zu sich einlud. Dankbar nahm ich es an. Der edelm?thige Mann hie? Bagem?hl, war aus Preussen geb?rtig, und beym Gouvernement als Architect angestellt. Meine Wohnung erhielt ich bey einem deutschen Schreiner, in einem reinlichen, hellen Zimmer. Die geordnete Lebensart in Grodno wirkte nicht nur auf mein Augen?bel, das der s?chsische OberChirurgus Richter behandelte, vortheilhaft, sondern auf meinen ganzen K?rper. Aber auch in gesellschaftlicher Hinsicht gew?hrte mir mein Aufenthalt daselbst Annehmlichkeiten. Ich brachte manche Stunde sehr froh bey Bagem?hl zu, wenn gleich zuweilen seine EheDissidien{725} die Unterhaltung st?rten. Er machte mich mit dem alten Major v[on] Roth, einem gebornen Zweybr?cker, bekannt, der mich gerne bey sich sah, und mir viele Artigkeit erwies. Mit mehreren gefangenen Officieren, namentlich dem schon erw?hnten Lieutenant Pechin, der ebenfalls f?r einige Zeit in Grodno bleiben durfte, und dem Lieutenant Boecker von der jungen Lanciersgarde Napoleons{726}, stand ich auf freundschaftlichem Fu?e. Der w?rttembergische Cabinets- // S. 140// Courier Lang war schon in Bialystok zu unserer Gesellschaft gestossen. Mehrere s?chsische Aerzte kamen ?fters mit uns zusammen. Am 26. July ward die Gesellschaft vermehrt durch 2. W?rttemberger, den Kriegs-Commiss?r Krais und den Lieutenant v[on] Bagnato, die beide in Schlesien in Kriegsgefangenschaft gerathen waren.
Grodno ist der Sitz eines Civilgouverneurs. Die Stadt ist betr?chtlich, und hat manche gutgebaute H?user und Strassen; die christlichen Einwohner bestehen gr?stentheils aus Pohlen, die Zahl der Russen ist gering,
Deutsche findet man viele. Das Benehmen der letzteren gegen uns war kalt und zur?ckstossend, und den Russen wichen wir m?glichst aus, dagegen bezeugten uns die Pohlen wenigstens einige Theilnahme. Die Juden leben hier, wie ?berall, nur ihrem Gotte, dem Geld. Die Lage von Grodno ist sch?n, aber nicht ausgezeichnet, der Flu?, an dem die Stadt liegt, ist schiffbar, und bringt Leben und Th?tigkeit unter die Bewohner.
Um die Mitte des Monats August, als meine Augen noch nicht v?llig hergestellt waren, begieng ich die Unvorsichtigkeit, den Collegienrath Riesenkopf, der die Gefangenen ausbezahlte, um ein besseres Quartier zu ersuchen. Er aber schlug mir meine Bitte nicht nur rund ab, sondern gab mir obendrein die trostlose Versicherung, da? er nicht ermangeln werde, // S. 141// mich mit dem ersten Transport, der von Grodno abgehe, weiter zu schicken. Meine Vorstellungen dagegen blieben bey dem Gouverneur ebenso fruchtlos, als die Verwendung einer angesehenen Dame, und so ward ich dann einem Transporte zugesellt, der am 19. August nach Minsk abgieng.
Mit schwerem Herzen nahm ich von Bagem?hl's, von dem Major v[on] Roth, und meinen ?brigen Bekannten in Grodno Abschied. Ihre besten W?nsche begleiteten mich.
Mehrere meiner Bekannten, wie der Herzog v[on] Mirelli, die Lieutenants Boecker, Pechin, Hartemenk, Kemerlink, der Cabinets-Courier Lang, waren mit einem fr?heren Transporte abgegangen. Meine Reisegef?hrten waren Krais und Bagnato, so wie der schon mehrmals erw?hnte Laudon, und ein franz?sischer Bedienter, der sich f?r einen Aide-de-Camp des F?rsten Poniatowsky ausgab, und sich Normann nannte, ein schlechter, boshafter, abgefeimter Kerl. Die Zahl der Unterofficiere und Soldaten betrug zwischen 200. und 250. Unsere Escorte bestand aus 1. Infanterie-Lieutenant mit 18. Mann vom 4.ten Infanterie-Regiment, und 30. Mann Pultawaischer187 Bauernkosaken.
Der Marsch ging ?ber Skydel, Kamienka, Zoludek, Beliza, NowoGrodek, Mir, und Koydonowo, und am 7. Sept[ember] langten wir in einem Dorfe bey Minsk an, nachdem wir einen Weg von 84. Stunden // S. 142// zur?ckgelegt hatten. Unser TransportCommandant hatte unsere Lage nicht sowohl durch ?blen Willen oder Bosheit, als vielmehr durch grobe Nachl?sigkeit w?hrend des Marsches sehr erschwert. Er war t?glich betrunken, und verlor dadurch alle Achtung seiner Untergebenen, oft sah er seine Befehle schlecht, oft gar nicht befolgt, und die armen Gefangenen waren zu Zeiten, wo er seiner Sinne nicht mehr m?chtig war, mehr oder minder schlechter Behandlung theils von Seiten einiger seiner Leute, theils von Seiten der Landesbewohner oder Quartierstr?ger ausgesezt. Auf dem ganzen Marsche waren wir meistens in j?dischen Wirthsh?usern, und nur ein paarmale bey Bauern, nie bey Edelleuten einquartirt worden. Dach und Fach hatten wir ?berall frey, dagegen mu?ten wir Essen und Trinken, zuweilen um hohe Preise, erkaufen, und etlichemale w?rden uns die Einwohner selbst gegen Bezahlung keine Lebensmittel abgelassen haben, wenn unser Transport-Commandant sich nicht ins Mittel geschlagen h?tte. Unter diesen Umst?nden war es kein Wunder, da? wir nicht allein vom Gelde entbl?st, sondern auch halb verhungert bey Minsk eintrafen. Die Einwohner der Orte, durch die wir zogen, waren ?berall gleichg?ltig gegen unsere Leiden, selbst hart gegen uns, und nur Einen Einwohner fanden wir, der nicht nur Menschlichkeit, sondern Gef?hl gegen uns zeigte.
Die? war der B?rgermeister in NowoGrodek, auf dessen // S. 143// Veranlassung wir unentgeldlich gespeist wurden. Dagegen trafen wir unterwegs in Swierzno einen russischen Milit?r, den Obersten de Fries, der sich theilnehmend nach unserer Lage erkundigte, und uns das dortige Quartier durch die Einladung zum Edelmann, dessen Freund er war, recht angenehm machte.
Das Land hat auch hier den allgemeinen Character Pohlens. Die D?rfer sind meistentheils, wie ihre Bewohner, armselig, die St?dtchen etwas besser, aber weit nicht so gut, wie in denjenigen Provinzen, die ehemals unter preussischer Herrschaft standen. Manche Edelsitze sind sch?n, und unter diesen zeichnen sich die G?ter des Grafen v[on] Tiesenhausen in und bey Zoludek, besonders aus.
W?hrend des Marsches hatte sich meine Augenkrankheit nach und nach verloren, mir jedoch eine Schw?che in den Augen zur?ckgelassen, die es mir unm?glich machte, auch nur eine halbe Stunde lang unausgesetzt mich mit Lect?re zu besch?ftigen.
Im Uebrigen war der Zustand meiner Gesundheit, abgerechnet die Diarrh?e, die mich schon so lange verfolgte, jedoch nicht mehr heftig war, ziemlich gut. Aber am 3. Sept[em]b[e]r ward ich von einer Unp??lichkeit befallen, die nach etlichen Tagen als ein eigentliches Nervenfieber sich aussprach, und von heftigem Durchfall begleitet war; da es bey dem Transport keinen Arzt gab, und ein solcher mir auch nichts gen?tzt h?tte, weil es an Arzneymitteln // S. 144// fehlte, so mu?te der Krankheit ihr Lauf gelassen werden, bis wir bey Minsk anlangten. Dort bem?hte sich der Lieutenant v[on] Bagnato, mir die Aufnahme in einen Spital zu verschaffen, aber die? gelang ihm erst, als ich vom Rande des Grabes durch die Kraft meiner Natur und die H?lfe einiger Arzneyen, die mir Dr. Schmidt von Minsk zugesandt hatte, zur?ckgekehrt war. Am 12. Sept[em]b[e]r ward ich dann in einen Spital gebracht, in welchem ich mit mehreren franz?sischen Officieren , die theils verwundet, theils krank waren, und ihr Elend schwer f?hlten, in Ein Zimmer logirt wurde. Die sorgliche Behandlung des Spitalarztes, dem ich von Dr. Schmidt besonders empfohlen war, brachte mich nun in wenigen Tagen so weit, da? ich nicht nur das Zimmer verlassen, sondern auch der Einladung des Dr. Schmidt zu seinem Mittagstisch folgen konnte. Hier ward mir eine angemessene und kr?ftige Kost, anfangs sparsam, nach und nach reichlicher gereicht, und in weniger als 14. Tagen ward ich wieder genesen.
Dr. Schmidt (aus Geislingen in W?rttemberg geb?rtig) und seine Frau, (eine geborene Willmann von Villingen im Badenschen) hatten sich weit in Ru?land einen ehrenvollen Ruf erworben durch die Menschenfreundlichkeit und Grosmuth, mit der sie die Leiden aller Kriegsgefangenen, haupts?chlich aber ihrer deutschen Landsleute, und unter diesen vorz?glich der W?rttemberger zu mildern // S. 145// sich bem?hten, und die sie das Mi?fallen der russischen Beh?rden nicht scheuen Hessen. Mit mir erinnern sich viele — viele W?rttemberger, Badenser188, ?berhaupt Deutsche und Franzosen mit herzlicher immerw?hrender Dankbarkeit der Wohlthaten dieses edlen Paares.
Die Stadt Minsk ist der Sitz eines Gouvernements, stark bev?lkert und im Ganzen gut gebaut. Die Cathedralkirche ist ein Meisterst?ck der Baukunst. Die Lage ist nicht unangenehm. Die Einwohner bestehen gr?stentheils aus Polen, gering ist die Zahl der AltRussen. Juden giebt es sehr viele, und hier traf ich sie besonders erbittert gegen die Franzosen und ihre Allirten. W?hrend meines Aufenthalts in Minsk waren wir zu unserer gr?sten Freude von der Gesellschaft der beiden Herren Laudon und Normann befreit worden. Sie hatten bey der deutschen Legion Dienste genommen. Dagegen hatte die Gesellschaft einen bedeutenden Zuwachs erhalten durch die Ankunft des Majors v[on] Loeffler, der Hauptleute v[on] Brunnow und v[on] Butsch, der Lieutenants Hoelder und Roell, s?mmtlich W?rttemberger, die in der Schlacht von Bautzen gefangen worden waren, so wie des bayrischen Lieutenants v[on] Michel vom 2.ten leichten Infanteriebataillon und des Chir[urgi] Pract[ici] Stoer. Ausserdem waren noch einige weitere Transporte Gefangener angelangt, die sofort in Minsk in Einen vereinigt wurden, um nach Czernigow, als der n?chsten Hauptstation abzugehen. // S. 146//