Zwölfies Capitel.
In Kalvary, am 13. Dec[em]b[e]r kaufte ich mit dem Ober-Lieutenant Grafen v[on] Graevenitz, und dem Ober-Lieutenant v[on] Maucler125 zusammen 2. Schlitten, die wir mit unsern Pferden bespannten, und auf deren einem Graevenitz und ich Platz nahmen, auf dem andern aber fuhren der kranke Maucler und der Quartiermeister Veihelmann. Als Kutscher und Bedienten hatten wir den J?ger Hoffmann angenommen, und die gleichen Dienste bey Mauders Schlitten // S. 88// versah der J?ger Sommer. Der Frost hatte seit 24. Stunden etwas nachgelassen, doch war er immer noch bedeutend genug. Am 14. Dec[em]b[e]r verlie?en wir Kalvary, schlugen den Weg nach Goldap ein, waren ?ber Mittag in Krowikresly, bey einem Grafen v[on] Pusinsky, und erreichten Abends Wysztitten. Tags darauf gelangten wir nach Goldap in Ostpreussen. Bey meinen dortigen Bekannten fand ich eine herzliche Aufnahme. Meine Erz?hlungen von unsern Schicksalen erregten eine aufrichtige Theilnahme, und sie suchten nach Kr?ften uns unser ?berstandenes Ungemach vergessen zu machen. Aber auch sie hatten schwer gelitten von den Durchz?gen der franz?sischen Armee, und hatten manche und grose Verluste zu bedauern. Uns als Deutschen boten sie die br?derliche Hand, aber gegen die Franzosen hatte sich ihr Ha?, der seit 1807. noch nicht erloschen war, auf's Neue und heftiger als zuvor entz?ndet. In Goldap legten wir unsere zerrissene, von Ungeziefer wimmelnde Kleidung ab, und verschafften uns von dem Rest unserer Baarschaft neue Kleider, reines Wei?zeug. Von hier nahmen wir den Weg nach denjenigen Orten, wo unser Regiment vor dem Feldzuge eine kurze Zeit in Cantonnirung gestanden, und wo sich Graevenitz mehrere gute Bekannte erworben hatte.
Es waren die? die St?dtchen Angerburg und Rastenburg, besonders aber R??el. In allen dreyen fanden wir eine ebenso gute Aufnahme, wie in Goldap, und wie hier, so machten wir auch in R??el einen Ruhetag. Am 20. De- c[em]b[e]r setzten wir die Reise fort, und nahmen die Richtung nach Danzig, wo der Sammelplatz der W?rttemberger seyn sollte. // S. 89//
In Heilsberg waren wir sehr gut einquartirt bey einem Kaufmann Romann, und den folgenden Tag lernten wir in dem B?rgermeister von Wormditt und seiner Frau sehr wackere Leute kennen. Hier wurde uns der Rath ertheilt, jedenfalls ?ber Elbing und Danzig zu gehen, und diesem Rathe folgend erreichten wir die letztere Stadt am 22. Dec[em]b[e]r bey sp?ter Nachtzeit. Tags darauf brachten wir in Erfahrung, da? der w?rttemberg'sche Kriegs-Commiss?r Herdegen hier anwesend sey, und von ihm erhielten wir sofort zu unserer unaussprechlichen Freude aus der Kriegs-Casse ein Anlehen von 20. Louisdor, und zugleich die Nachricht, da? statt Danzig nunmehr die Festung Thorn an der Weichsel zum Sammelpl?tze f?r die W?rttemberger bestimmt sey. Wir verlie?en nun Elbing sogleich wieder, passirten am nemlichen Tage Marienburg, und kamen am 24. Dec[em]b[e]r Abends in Marienwerder an, wo wir bey Medicinalrath Burkhardt ein quartirt wurden, und wo wir den Christtag zubrachten. Die Ungef?lligkeit des Wirths und seiner Frau verk?mmerte uns den Ruhetag nicht wenig, und gerne traten wir am 26. Dec[em]b[e]r unsere Weiterreise an. Nach 2. Tagreisen, auf denen wir die Stadt Graudenz passirten, und an der Festung gleichen Namens vorbeykamen, trafen wir am 28. Dec[em]b[e]r in der Stadt und Festung Thorn auf dem rechten Ufer der Weichsel ein. Aber auch hier war unsers Bleibens nicht, und zwar zu unserer grosen Zufriedenheit, weil wir keineswegs Lust hatten, eine Belagerung, die wohl vorauszusehen war, auszuhalten, vielmehr nach der R?ckkehr ins Vaterland uns sehnten. Nach einem // S. 90// Rasttage verlie?en wir Thorn wieder, und begaben uns 10. Stunden weiter nach Inowraclaw, ein St?dtchen im Herzogthum Warschau, wo sich die aus dem Feldzuge r?ckkehrenden W?rttemberger sammelten.
In Ost- und Westpreussen, so wie im Herzogthum Warschau waren ?berall noch die Spuren zu finden, die der Durchzug der franz?sischen Armee im Fr?hling und Anf?nge des Sommers zur?ckgelassen hatte, nirgends aber waren sie so deutlich, wie in Ost-Preussen, und auch hier wieder am deutlichsten in dem n?rdlicheren Theile, weil die Disciplin immer gelinder wurde, je mehr sich die Armee der feindlichen Grenze, der Er?ffnung des Feldzuges n?herte. Wir trafen darum auch viel Elend in diesen Gegenden, und durften uns darum ?ber die oft feindselige Begegnung der Einwohner nicht wundern. Gleichwohl waren es gerade die am h?rtesten Bedr?ngten, die uns am wohlwollendsten aufnahmen, und ich kann im Allgemeinen nicht anders, als das Benehmen der OstPreussen sehr loben. Ein Gleiches aber kann ich von den Westpreussen nicht r?hmen, und zwey H?user, in Wormditt und Graudenz — ausgenommen, mu? ich sagen, da? uns ?berall Ha? und feindselige Gesinnungen begegneten, die sich keineswegs scheuten, sich durch Worte kund zu geben. Im Warschau' schen unterschieden wir zwischen Adel und Volk, w?hrend der erstere uns grose Geneigtheit bezeugte, scheute uns, ha?te uns das letztere.
Das Land von Goldap bis Elbing ist ziemlich, gegen den Nogat hin aber sehr fruchtbar. Es ist meistens flach und von einf?rmigem Aussehen // S. 91// nirgends befinden sich Puncte, die sich durch Lage und Umgebung einigermaasen auszeichnen. Die Niederungen von Elbing gelten als einer der fruchtbarsten Landstriche Preussens. Bey Graudenz f?ngt das Land an, wieder sandig zu werden, und bey Culmsee und Thorn bildet es eine eigentliche Sandw?ste. In OstPreussen gleicht die Bauart der D?rfer der im Warschau'schen, doch sind jene etwas freundlicher und reinlicher als diese. Die St?dtchen Heilsberg und Wormditt sind alt, aber nicht schlecht gebaut. Elbing ist eine betr?chtliche, sehr gewerbsame, gut gebaute Stadt. Gegen diese Stadt hin haben die D?rfer ein gef?lligeres und wohlhabenderes Aussehen, aber in der Niederung der Nogat und Weichsel ?bertreffen sie die sch?nsten und reichsten D?rfer von S?dDeutschland. Die Mauern und H?user von Marienburg zeugen von hohem Alter der Stadt, dagegen ist Marienwerder weit neuer und mit geschmackvollen Geb?uden geschm?ckt. Graudenz ist alt, aber nicht ?bel gebaut, auch scheint es ziemlich gewerbsam zu seyn. Die in nicht groser Entfernung gelegene Festung steht auf einer Erh?hung, doch sind von der Strasse aus weder Werke noch H?user bemerkbar; sie soll nur einige wenige Wohn-Geb?ude enthalten, indem die Garnison, als die einzigen Bewohner des Platzes, in den Casematten liegt. Diesseits Graudenz, wo der Boden wieder unergiebiger wird, sind auch die D?rfer schlechter gebaut, die Wohnungen minder bequem und reinlich, bey Thorn sind sie wieder ?cht polnisch. Diese Stadt selbst ist von nicht unbedeutendem Umfang, gut bev?lkert, und //S. 92// sehr gewerbth?tig, sie hat viele gut gebaute Stra?en, und manche H?user, die einer grosen Stadt zur Zierde gereichen w?rden. Das St?dtchen Inowraclaw enth?lt neben vielen, nach polnischer Art gebauten H?usern, noch manche bessere Geb?ude, die alle aus den Zeiten der preussischen Herrschaft herr?hren. Im Ganzen geh?rt es zu den besseren polnischen St?dtchen.
In diesem Orte sollte nach den Befehlen unsers K?nigs, der an die allgemeine Aufl?sung nicht glauben wollte, der Ueberrest der w?rttembergischen Truppen gesammelt und geordnet werden, und bis zur Ankunft der Erg?nzungsmannschaft verweilen, um dann vereint mit diesen126 wieder gegen den Feind zu marschiren. Die Generale sahen aber die Unausf?hrbarkeit dieses Befehls wohl ein, und hatten darum schon fr?her einen aus ihrer Mitte mit dem Auftrag nach Stuttgart gesandt, den K?nig ?ber die wahre Lage der Dinge aufzukl?ren, und ihn wo m?glich zu Zur?ckberufung der geretteten Truppen zu bestimmen. Die? hatte denn auch den Erfolg, da? schon am 6. Jan[ua]r 1813. der Allen unausprechlich erfreuliche Befehl eintraf, die Offfciere einzeln so schnell als m?glich ins Vaterland zur?ckzuschicken, die Soldaten aber unter der Aufsicht einiger Officiere in m??igen Tagm?rschen heimzuf?hren.
W?hrend meines Aufenthalts in Inowraclaw, der vom lezten Dec[em]b[e]r bis zum 7. Jan[ua]r w?hrte, hatte ich fortw?hrend mit Diarrhoe und Magenweh heftig zu k?mpfen, die dagegen gebrauchten Mittel // S. 93// schlugen bey der allgemeinen Ersch?pfung, an der ich litt, nicht an. Ich geh?rte zu der Zahl derjenigen Officiere, die f?r sich heimkehren sollten, und gab nun meine Pferde unter die Aufsicht des Depot-Commandanten von unserem Regiment?, dem ich ein drittes schon in Ru?land ?bergeben hatte, nahm von der Kriegs-Casse einige hundert Gulden auf, versah mich mit den n?thigsten Kleidungsst?cken, und kaufte in Gemeinschaft mit dem Ober-Lieutenant Grafen v[on] Graevenitz eine polnische Pritschke{687} f?r unsere Reise. Als Bedienter sollte uns J?ger Hoffmann begleiten.